Stellungnahme der Naturschutzverbände zum Impulspapier „Eine Charta für das Berliner Stadtgrün“

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Wir begrüßen den Entschluss des Berliner Senats, sich in einer Charta für das Berliner Stadtgrün dauerhaft selbst zu verpflichten, die grünen Freiflächen der Stadt langfristig zu erhalten und zu stärken. In Verbindung mit geeigneten Maßnahmen in einem dazugehörigen Aktionsplan kann eine solche Charta wesentlich zum Schutz von Natur und Umwelt im wachsenden Berlin beitragen. Für die Menschen in der Stadt sind die grünen Freiflächen unabdingbar für Gesundheit und Lebensqualität. Sie bieten Raum für Erholung und Naturerlebnis und leisten einen entscheidenden Beitrag zu einem verträglichen Stadtklima. Über diese Vorteile hinaus, die wir uns zu Nutze machen, sind die grünen Freiflächen aber auch wertvolle Lebensräume für die Tiere und Pflanzen der Stadtnatur, die in den urbanen Ökosystemen teilweise unersetzliche Nischen für ihr Überleben gefunden haben.

 

Es brennt

Lange hat es gedauert, eigentlich schon viel zu lange. Seit vielen Jahren setzen sich Naturschützer*innen in der ganzen Stadt für einen dauerhaften und verlässlichen Flächenschutz ein. In dieser Zeit mussten wir mit ansehen, wie viele der für uns und für die Stadtnatur bedeutsamen Flächen unter die Bagger kamen. Nun soll in einem mehrstufigen Arbeitsprozess die Charta erstellt werden. Es war schon immer Überzeugung der Verbände, dass eine Sicherung der grünen Freiflächen nur Bestand haben kann, wenn diese auf einem Diskussionsprozess mit der ganzen Stadtgesellschaft aufbauen kann. Die Absicht, eine so erarbeitete Charta für das Berliner Stadtgrün mit Beschlüssen des Senats, des Rates der Bürgermeister und des Abgeordnetenhauses festzusetzen, trägt auch den Gedanken in sich, die Charta im breiten Einvernehmen aufzustellen und wird von uns als Ausdruck des Willens des Landes und der Bezirke gewertet, die grünen Freiflächen dauerhaft sichern zu wollen. Dieser Prozess sollte zügig zu einem Resultat führen, damit bis spätestens Ende 2019 die zu schützenden Flächen sowie geeignete Pflegemaßnahmen festgelegt werden können.

So sehr wir diesen Willen im bisher vorliegenden Impulspapier wiedererkennen können, so sehr vermissen wir Aussagen zu konkreten Instrumenten, um eine verbindliche und dauerhafte Absicherung der grünen Freiflächen zu garantieren. Vielmehr wird darauf verwiesen, dass die Charta dabei auf die hinlänglich bekannten Planwerke und Programme wie Flächennutzungsplan, Landschafts- und Artenschutzprogramm, Strategie Stadtlandschaft, die Berliner Strategie zur biologischen Vielfalt oder den Stadtentwicklungsplan Klima setzt. Aus Sicht der Naturschutzverbände sind diese Pläne und Programme an sich nicht schlecht, funktionieren in der Realität allerdings nicht so gut, wie sie müssten, um auch in einer wachsenden Stadt ein ausreichendes Maß an Lebensqualität für alle garantieren zu können. Das vorliegende Impulspapier der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz unterstreicht diese Einschätzung sogar noch, indem es die dynamische Natur dieser Pläne und Programme explizit hervorhebt. Nichts ist für die Ewigkeit und solche Pläne und Programme müssen sicherlich auch kontinuierlich weiter verhandelt und fortgeschrieben werden, jedoch ist es ebenfalls unstrittig, dass diese ja schon länger existierenden Instrumente weder den Rückgang an Arten und Biotopen aufhalten, noch die stadtklimatische Aufheizung bremsen konnten.

Wenn die Charta ihr Ziel die notwendigen Flächen für die Erholung, die stadtklimatische Entlastung und den Naturschutz zu erhalten erreichen will, muss sie schärfere Instrumente schaffen. Deswegen benötigt die Stadt eine definierte grüne Infrastruktur, die, wie auch andere notwendige Versorgungsnetze, nicht einfach durch andere Planungen überschrieben werden kann.

Letztlich wird sich der Erfolg daran messen müssen, wie weit die erzielten Ergebnisse über die bereits bestehenden rechtlichen und politischen Vorgaben hinausgehen. Der Aktionsplan muss mindestens die Vorhaben absichern, die schon lange beabsichtigt und nie realisiert wurden. Wenn die Charta für das Berliner Stadtgrün nur unverbindlich den Status Quo festschreiben sollte, braucht Berlin eine solche Charta nicht.

 

Ohne geht es nicht

Bisher werden im Entwurf der Charta unter dem Begriff „Stadtgrün“ insbesondere folgende Flächentypen zusammengefasst: Parkanlagen und Siedlungsgrün, Friedhöfe, Kleingärten, Wälder, Naturschutzflächen, Brachflächen, Landwirtschaftsflächen sowie Spiel- und Sportplätze, grüne Dächer und Fassaden. Wir vermissen dabei die Kleingewässer und ihre Pufferzonen sowie die Bahnrandstreifen, welche als grüne md blaue Biotopverbindungen auch gegenwärtig schon wichtige Teile der Stadtnatur sind. Diese müssen nicht nur gesichert, sondern auch aufgrund ihrer stadtklimatischen Bedeutung von Bebauung freigehalten werden. Darüber hinaus kann ein funktionierender Biotopverbund auch nicht ausschließlich aus zusammenhängenden Strukturen bestehen, sondern er bedarf ebenfalls der größeren und kleineren Freiflächen als Trittsteine dazwischen.

Die Charta wird geprägt von dem Gedanken, dass dieses Stadtgrün viele ökologische, klimatische, soziale, gesundheitsförderliche sowie ökonomische Funktionen gleichzeitig übernehmen soll. Gerade weil sich in den hochverdichteten Stadtquartieren Umweltbelastungen mit sozialen Problemlagen überlagern, muss bei einer Verdichtung der Bausubstanz auch ausreichend Freiraum belassen werden. Insbesondere in der Innenstadt ist die Bedeutung nicht nur von Parks, sondern auch von Friedhöfen, Kleingärten und Brachen enorm. Eine Überplanung dieser vorhandenen grünen Freiflächen kann nicht mit pflegeleichten Pocket-Parks und Stadtplätzen kompensiert werden. Die Idee, durch Bebauung verloren gegangene Grünflächen mit einer Begrünung von Gebäuden kompensieren zu wollen, wird von uns sehr kritisch gesehen. Gebäudegrün kann ohne Frage dicht bebaute Stadtgebiete aufwerten und zur Klimaanpassung beitragen, es kann aber nie den Verlust von grünen Freiflächen ausgleichen. Grüne Dächer und Fassaden stellen einen Zusatz zum Klimaschutz dar, jedoch keinen Ersatz für Biotopflächen. Eine erfolgreiche Freiraumstrategie muss neben entsprechender Gestaltung und Pflege auch auf Erhalt und Ausweitung der grünen Freiflächen setzen.

Ebenso ist es problematisch, unhinterfragt Sportplätze als Teil der grünen Infrastruktur zu werten, handelt es sich hierbei doch oftmals um versiegelte und durch die starke Nutzung in der Regel artenarme Flächen. Die Bedeutung dieser und anderer grüner Freiflächen für die Stadtnatur wird davon abhängen, wie sie gestaltet, genutzt und gepflegt werden.

 

Die Stadt muss Verantwortung übernehmen

Eine starke Nutzung mindert die ökologischen Qualitäten der grünen Freiflächen, so dass viele der wichtigen Funktionen eingeschränkt werden. Ein ungeordneter Nutzungsdruck schadet letztendlich nicht nur der Ökologie, sondern auch der Erholung. Wem Berlin auch in Zukunft noch mit grünem Standortvorteil und Artenvielfalt werben will, muss die Stadt etwas dafür tun. Die heute als selbstverständlich erachteten Freiflächen sind ein Geschenk der besonderen Geschichte Berlins, wir stehen in der Pflicht diese zu erhalten.

Nicht jede Fläche wird alle Bedürfnisse erfüllen können, aber jede hat eigene schützenswerte Qualitäten. Bei Planung und Pflege sollte eine vielfältige Nutzung mit den vorhandenen grünen Strukturen in Einklang gebracht und der Biotop- und Artenschutz mitgedacht werden. Die grünen Freiflächen müssen dabei nach Anforderungen und Pflegeaufwand differenziert behandelt werden.

Die Erschließung und Aufwertung der großen Natur- und Landschaftsräume am Stadtrand und darüber hinaus darf sich nicht in einer Dekorierung mit künstlichen Gestaltungs- und Biotopelementen erschöpfen. Eine lediglich abschnittsweise naturnahe Gestaltung der Ufer reicht nicht aus, um den hohen Nutzungsdruck auf diese Flächen auszugleichen. Insbesondere kleine Flächen müssen spezifisch gepflegt und geschützt, statt multifunktional überfrachtet werden. Hierbei stellt die „Bewahrung und. Kommunikation von Orten, die aus naturschutzfachlicher Sicht Schonung bzw. Nutzungseinschränkung fordern“ einen wichtigen Aspekt dar. Eine Kampagne zur Rücksichtnahme im Stadtgrün wird dabei von uns begrüßt.

Wir unterstützen das Ziel, privates Grün vielfältiger zu machen. Oftmals unbemerkt ruhen in den Grünflächen in Gewerbegebieten und Siedlungen enorme ökologische Potentiale. Neue und alte Kooperationen mit Wohnungsbaugesellschaften und Grundstückseigentümern sollten initiiert und weiter ausgebaut werden.

Für die angekündigte „Qualitätsoffensive Stadtgrün“ bedarf es einer ökologischen Qualifizierung. Unseres Erachtens mangelt es aber hierzu derzeit an gesetzlichen Grundlagen sowie an Mitarbeitern in den Behörden. Für die Sicherung, Pflege und Entwicklung des Stadtgrüns bedarf es mehr Personal, sowohl in den Straßen- und Grünflächenämtern als auch in den Unteren Naturschutzbehörden sowie in den Stadtentwicklungs- und Ordnungsämtern. Neben Landschaftsplanung und Pflege müssen ebenso die Kontrollfunktionen, deren Vollzug und die Information der Bevölkerung gestärkt werden. Um die Wertschätzung für das Stadtgrün und eine gegenseitige Rücksichtnahme mittels verschiedener Instrumente, wie Aufklärung, Umweltbildung und Beteiligung mit Leben zu füllen, bedarf es neuer Kapazitäten und Strukturen in den Amtsstuben.

 

Was jetzt zu tun ist

Der Erfolg der Charta für das Berliner Stadtgrün hängt neben einer möglichst präzisen Festlegung der Flächenkulisse und deren zuverlässigen Sicherung auch von der Verbindlichkeit der im Aktionsplan festgelegten Maßnahmen ab. Aufgabe des Aktionsplanes ist die Festlegung von konkreten Maßnahmen mit verbindlicher Umsetzung und messbaren Größen in einem Zeitraum von mindestens 10 Jahren.

Die Berliner Naturschutzverbände schlagen folgende Maßnahmen vor:

  • Der Prozess zur Sicherung der Flächen ist unter Federführung der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz in enger Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, den Bezirken und den Flächeneigentümern abzuschließen. Die Oberste Naturschutzbehörde, die Naturschutzbehörden der Bezirke sowie die Stadtplanungsämter sind personell so auszustatten, dass sie in die Lage versetzt werden, die Charta Stadtgrün umzusetzen. Der Doppelhaushalt 2020/2021 sollte hierfür als Einstieg genutzt werden. Bis zur Verabschiedung eines verbindlichen Gesetzes muss für alle ökologisch wichtigen Flächen ein Flächenmoratorium erlassen werden, das eine mögliche Bebauung ausschließt.
  • In einem Artikelgesetz für den Flächenschutz, das sich auf Bestimmungen in einschlägigen Gesetzen und Verordnungen, wie beispielsweise im Berliner Naturschutzgesetz, im Waldgesetz oder im Wassergesetz bezieht, sollen Flächen aus dem Katalog der Charta Stadtgrün von Bebauung freigehalten werden. Darüber hinaus sollte der flächendeckende Biotopverbund entsprechend dem noch unverbindlichen Berliner Biotopverbundsystem und auch entlang der Bahnlinien und Gewässerufer verbindlich gesichert werden, so wie das Bundesnaturschutzgesetz es vorschreibt. Der gesetzliche Biotopschutz ist auf Streuobstwiesen und mit Obstbäumen bestandene Wiesen auszudehnen.
  • Zur Sicherung einer umweltgerechten Stadtentwicklung sind Mindestquoten für eine verbindliche quartiersbezogene Versorgung der Berliner*innen mit Grün-, Frei- und Naturflächen gesetzlich festzuschreiben.
  • Die Flächen der Charta Stadtgrün sind in den Flächennutzungsplan, in das Landschaftsprogramm, den Kleingartenentwicklungsplan und den Friedhofentwicklungsplan einzuarbeiten. Diese sollten darin genauso gesichert werden wie z. B. Schulstandorte, Gewerbegebiete oder Verkehrstrassen; hier haben die zuständigen Ressorts praktisch ein Vetorecht.
  • Die bekannten und schon lange überfälligen potentiellen Schutzgebiete aus dem Landschafts- und Artenschutzprogramm müssen zügig ausgewiesen werden. Sie sollten schon jetzt Bestandteil der Chartaflächen werden und sind daher einstweilig rechtlich zu sichern.
  • Flächen der Charta Stadtgrün, die nicht bereits durch eigene Verordnungen gesetzlich geschützt sind, sind durch Bebauungspläne zu sichern.
  • Die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz verpflichtet sich, mit relevanten Flächeneigentümern und -verwaltern, wie z. B. den Friedhofsverbänden, den Berliner Wasserbetrieben, der Deutschen Bahn, dem Berliner Immobilienmanagement oder den Stadtgütern, Verträge zur Sicherung der Charta-Flächen abzuschließen.
  • Zur Sicherung von ausgewählten Flächen der Charta muss das Land Berlin auch Flächen erwerben. Dafür sind ein adäquat ausgestatteter Fonds und die nötigen Strukturen zu schaffen. Wir brauchen eine Fachbehörde auf Landesebene, in deren Fachvermögen die angekauften Flächen übergehen sollten.
  • Bestehende Kleingartenanlagen sind orientiert am Bedarf quartiersbezogen zu erhalten, neue sind im Zuge von Bauvorhaben mit zu planen. Kleingartenverbände und -vereine sollten dabei unterstützt werden, auch Flächen für soziale Projekte und gemeinschaftliches Gärtnern vorzusehen.
  • Die schon lange angedachten, aber bisher nicht umgesetzten Maßnahmen aus der Strategie der biologischen Vielfalt, der Strategie Stadtlandschaft sowie dem STEP Klima sollten in den Aktionsplan aufgenommen werden.
  • Um im Fall der Fälle eine dann doch erfolgte Versiegelung und Zerstörung wertvoller Flächen kompensieren zu können, bedarf es wirksamer Instrumente für einen ortsnahen und gleichartigen Ausgleich. Eine konsequente Prüfung der Einhaltung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen und die Möglichkeit von Nachforderungen bei mangelhaften Umsetzungen während der Eingriffsperiode wären ebenso notwendig.
  • Die ökologische Qualifizierung kann mit verschiedenen Indikatoren gesteuert werden, wie z. B. einer jährlichen Flächenbilanz, welche den Zuwachs und den Verlust an grünen Freiflächen und des Ausmaßes der Versiegelung darstellt. Auch eine Bilanzierung von Artenverlusten und -gewinnen anhand bestimmter Zeigerarten könnte ein Instrument sein.
  • Im innerstädtischen Bereich kann das Instrument des Biotopflächenfaktors das Maß der Begrünung unterstützen.
  • Bestimmte Mindestbreiten von Uferstreifen, die von Bebauung frei zu halten sind, müssen festgelegt werden. Das Gleiche gilt für bahnbegleitende Brachen.
  • Die touristische Erschließung der Wald- und Seenlandschaften sollte mit einer Besucherlenkung erfolgen. Hundeauslaufgebiete sind wichtig und müssen klar ausgewiesen werden.
  • Das für Park- und Landschaftspflege zuständige Personal muss für, die naturnahe Pflege qualifiziert werden, Unabdingbar sind diesbezügliche Mindeststandards bei der Auftragsvergabe an Privatfirmen
  • Die Beweidungsprojekte sind dauerhaft zu sichern; die Technik ist den naturschutzfachlichen Erfordernissen anzupassen.
  • Das Land sollte modellhaft Vorreiter beim Artenschutz an Gebäuden sein – ob bei Neubau, Bestand oder Sanierung. Dafür muss der Gebäudebrüter- und Fledermausschutz rechtlich und personell gestärkt, Vogelschlag konsequent verhindert und die Beleuchtung tierschutzgerecht optimiert werden.
  • Gerade die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften sollten bei der Anlage von Gartenflächen und bei der ökologischen und ästhetischen Gestaltung und Pflege ihrer Grünflächen Vorbild sein.

 

berlin-immergruen.de