Biodiversität auf Friedhöfen 2006-2007
Mit dem vom Berliner Senat 2006 verabschiedeten Friedhofsentwicklungsplan (FEP) sollen von insgesamt 1176 ha Friedhofsfläche bis zum Jahr 2025 ca. 340 ha in eine „grüne“ oder „nicht grüne Nachnutzung“ kurz- oder langfristig umgewidmet werden. Mit dem FEP nimmt Berlin bundesweit eine Vorreiterrolle ein. Friedhöfe sind zwar als Orte der Bestattung, des Gedenkens für die Hinterbleibenen, der stillen Naherholung und von kulturhistorischem Wert im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert, ihr Wert als Naturoase ist dagegen wenig populär. Friedhöfe im Stadtbereich unterscheiden sich gegenüber Parkanlagen durch den halböffentlichen Status und eine „stille“ Erholungsnutzung. Daraus resultiert ein geringerer Nutzungsdruck und eine ungestörte Entwicklung wertvoller Lebensräume, insbesondere auf den Überhangflächen. In einer Vorstudie der BLN wurden stichprobenartig die Umwidmungsflächen von einigen Friedhöfen nach Biotoptypen kartiert. Es zeigte sich, dass insbesondere in grüne Nachnutzung umzuwidmende Friedhofsflächen naturschutzfachlich wertvoll oder besonders wertvoll einzustufen sind. Mit dem Projekt sollen sämtliche naturschutzfachlich wertvollen Flächen des Umwidmungsflächenpools in Berlin eingehender untersucht und bewertet werden. Schwerpunkt der Bestandserhebungen sind die für eine „grüne Nachnutzung“ vorgesehenen Flächen. Mit dem Projekt sollten Möglichkeiten zur langfristigen Sicherung wertvoller Friedhofsflächen aufgezeigt werden. In Kooperation mit den landeseigenen und konfessionellen Friedhofsträgern wurden an Fallbeispielen besonders wertvoller Flächen zum Erhalt und zur Förderung von Biodiversität Pflege- und Entwicklungspläne erarbeitet.
Ziele
- Lokalisierung naturschutzfachlich wertvoller Überhangflächen innerhalb des Umwidmungsflächenpools (ca. 200 ha von 186 Friedhöfen) in Berlin.
- Erstellung von Konzepten zum Erhalt von innerstädtischer Biodiversität auf den langfristig in grüne Nachnutzung vorgesehenen Flächen.
- Prüfung von planungsrechtlichen Instrumenten und Möglichkeiten, um wertvolle und für eine grüne Nachnutzung vorgesehene Überhangflächen als Räume innerstädtischer Biodiversität zu sichern.
Der Schwerpunkt der Kartierungen konzentrierte sich auf Umwidmungsflächen von Friedhöfen der Bezirke Spandau, Reinickendorf, Pankow, Lichtenberg und Mitte. In einem so genannten Screening-Verfahren wurden von den Umwidmungsflächen alle friedhofsrelevanten Biotopqualitäten aufgenommen und naturschutzfachlich eingeschätzt. Untersucht wurden insgesamt 73 Flächen von 40 Friedhöfen. Von den für „sonstige Nutzung“ vorgesehenen Flächen wurden 11 ohne naturschutzfachlichen Belang, 22 als naturschutzfachlich mäßig wertvoll, 9 als wertvoll und 2 als besonders wertvoll eingestuft. Bei den als wertvoll und besonders wertvoll eingestuften Flächen sollte eine mögliche Bebauung noch einmal überdacht und mit den Friedhofsträgern andere Nutzungsmöglichkeiten gefunden werden. Der größte Teil der Flächen, die in eine „grüne Nachnutzung“ umgewidmet werden, können als wertvoll oder sogar besonders wertvoll eingestuft werden. Ein Problem ist hier eher der Erhalt vorhandener naturschutzfachlicher Qualitäten auf den längerfristig in „grüne Nachnutzung“ umzuwidmenden Flächen und die Integration dieser Qualitäten, wie z.B. alte Alleen in künftige Grüngestaltungen und –planungen.
Auf 10 Flächen wurden floristische Aufnahmen vorgenommen, um naturschutzfachliche Zusatzinformationen zu erhalten. Hierbei erfolgte keine vollständige Erfassung der Vegetation, sondern eine Aufnahme der charakteristischen und wertgebenden Pflanzenarten. Insgesamt wurden 150 Pflanzenarten aufgenommen, darunter befinden sich 9 Arten der aktuellen Berliner Roten Liste. Die besonders wertvollen Bereiche sind durch alten Baumbestand und alte Rasenflächen mit Arten der Frischwiesen und Magerrasen gekennzeichnet. Von den 10 floristisch untersuchten Flächen wurden vier Flächen, die „kurzfristig in sonstige Nutzung“ umgewidmet werden sollen, faunistisch-tierökologisch näher untersucht. Hierbei handelt es sich um nicht mehr genutzte, mehr oder weniger brachgefallene Friedhofsflächen. Die faunistischen Erhebungen konzentrierten sich auf Brutvögel, Fledermäuse, Laufkäfer, holzbewohnende Käfer und stichprobenweise auf baumbewohnende Spinnen. Insgesamt wurden hier 31 Brutvogelarten, 51 Laufkäferarten, 261 Arten der holzbewohnenden Käferarten und 20 Spinnenarten nachgewiesen. Alle Flächen werden als Jagdgebiete von Fledermäusen genutzt. Von den 312 gefundenen Käferarten sind 75 Arten in der aktuellen Berliner oder Deutschen Roten Liste enthalten oder nach Bundesartenschutzverordnung besonders geschützt. Besonders hervorzuheben ist die hohe Zahl an holzbewohnenden Käferarten, darunter viele gefährdete oder stark gefährdete Arten, die aufgrund des sehr vielfältigen Alt- und Totholzbestandes unterschiedlicher Alterungs- und Zerfallsstadien auf den brachgefallenen Umwidmungsflächen entsprechende Lebensräume vorfinden. Darüber hinaus wurde eine seit 30 Jahren als verschollen geltende Spinnenart sowie eine für Berlin und Branden bisher unbekannte Spinnenart gefunden. Die vorliegende Untersuchung
verdeutlicht den hohen naturschutzfachlichen Wert einiger Umwidmungsflächen als Lebens- und Rückzugsräume für Pflanzen und Tiere im bebauten Innenstadtbereich sowie deren Bedeutung für den Biotop- und Artenschutz. Unter den gefundenen Wirbellosenarten wurden auch zwei Zielarten des Biotopverbunds im Land Berlin gefunden.
Als Quintessenz der Untersuchungsergebnisse werden aus dem vorhandenen Umwidmungsflächenpool besonders wertvolle Teilbereiche mit geschützten Biotopen, gefährdeten Pflanzen- und Tierarten gekennzeichnet und als Bestandteil des innerstädtischen Bioptopverbunds vorgeschlagen. Für schützenswerte Objekte wie alte Bäume, Baumreihen und Alleen und besonders wertvolle Biotope werden die Notwendigkeit eines besonderen Schutzes sowie entsprechende Schutzmöglichkeiten aufgezeigt. Außerdem werden Angaben zu Pflege und Gestaltung gegeben. In einigen
Fällen wurden Vorschläge zu internem Flächentausch sowie sonstigen Modifizierungen der Planung gemacht. Für einige wenige Flächen ergibt die naturschutzfachliche Bewertung ein klares „Nein“. Hier sind baldmöglichst Abstimmungsgespräche auf verschiedenen Ebenen notwendig.
Die Untersuchungsergebnisse und Vorschläge dieses Projektes sollten bei der weiteren Umsetzung des Friedhofsentwicklungsplans im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklung
berücksichtigt werden.
Im Rahmen des Projektes wurde eine Ausstellung „Friedhöfe: Räume innerstädtischer Biodiversität“ auf zehn Tafeln erstellt, welche bei der BLN ausgeliehen werden können.
Damit möchte die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz Interesse am “Lebensraum Friedhof” wecken und dazu anregen, den Gedanken des Naturschutzes stärker als bisher in der Gestaltung und Pflege von Friedhöfen zu berücksichtigen.
Friedhöfe müssen deshalb nicht gleich in Naturschutzgebiete umgewandelt werden, aber es spricht doch viel für die Erhaltung alter Bäume, die verstärkte Verwendung heimischer Pflanzen oder den Schutz wertvoller Rückzugsräume für Tiere. Statt intensiv gepflegter Rasen könnte an mancher Stelle eine kräuterreiche Wiese gedeihen und in stillen Winkeln, an Wege- und Gehölzrändern sich “Wildwuchs” in aller Schönheit entfalten – so lange man ihn nur lässt.
Naturnahe Friedhöfe mögen gelegentlich dem Ordnungssinn einiger Menschen entgegenstehen, nicht jedoch der Melancholie und der Würde, die diese Orte dadurch ausstrahlen.
Nachzulesen als kompletten Bericht und Anlagen als pdf.
Die Stiftung Naturschutz hat in Kooperation eine Broschüre „Friedhof natürlich“ erstellt.