Presse-Information

Veröffentlicht in: Allgemein | 0

Die Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz (BLN) erklärt:

FFH-Recht gegen weitere Steganlagen am Müggelsee

Im Jahr 2006 wurde der gesamte Müggelsee mit Ausnahme der Ortslage Friedrichshagen als FFH-Gebiet an die EU-Kommission gemeldet. Es handelt sich dabei nach der EU-Terminologie um das FFH-Gebiet „Müggelspree-Müggelsee“ mit dem maßgebenden FFH-Lebensraumtyp 3150 („natürlich eutropher See“).

2017 wurde unter heftigen Geburtswehen und starkem Widerstand von diversen Wassersportverbänden, Bezirkspolitikern und Anwohnern das Schutzgebiet endlich in das Berliner Naturschutzrecht überführt.

Zur Erinnerung: FFH-Gebiete sind Gebiete, in denen die regionaltypische Natur, entweder Lebensraumtypen von europaweit besonderer Bedeutung oder streng geschützte Tierarten vorkommen. Dabei soll in diesen Gebieten die menschliche Nutzung nicht verboten werden, sondern sie soll so stattfinden, dass der Natur-Zustand dieser Gebiete sich nicht verschlechtert, sondern soweit möglich verbessert wird. Es wird der sogenannte „gute Erhaltungszustand“ angestrebt. Um diesen zu erreichen, müssen Managementpläne erstellt und auch umgesetzt werden. Um es noch mal zu verdeutlichen: Es soll in solchen Gebieten, also auch am Müggelsee, das Ziel des guten ökologischen Zustands bei gleichzeitiger Nutzung durch den Menschen erreicht werden, das heißt es kann weiter Freizeitnutzung, Schifffahrt, Angeln und Trinkwassergewinnung stattfinden. Es ist aber auch klar, dass dies nicht ohne gewisse Nutzungseinschränkungen auf allen Seiten möglich ist.

Vor diesem Hintergrund und etwa im gleichen Zeitraum ließ der Bezirk eine Steganlagenkonzeption erarbeiten, in der Vorranggebiete für Stege etc. festgelegt werden sollten.

Steganlagen waren nach der Berliner Gesetzeslage schon immer genehmigungspflichtig. Auch private Grundstückseigentümer können sich nicht beliebig einen Wasserzugang verschaffen. Allerdings gibt es derzeit noch immer zahlreiche Steganlagen ohne Genehmigung, weil es an Kontrollen mangelt, bzw. alte Steganlagen in der Vergangenheit stillschweigend geduldet wurden.

Nun haben die Berliner Naturschutzverbände gegen die Neu-Genehmigung einer Steganlage vor dem Grundstück Müggelseedamm 288-298 durch das Bezirksamt Treptow-Köpenick vor dem Berliner Verwaltungsgericht geklagt und gewonnen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 22.03.2018 ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Die Vorhabenträgerin ist in die nächste Instanz gegangen.

Was liegt dem zugrunde:

Am Nordufer des Großen Müggelsees gab es schon zu DDR-Zeiten mit Ausnahmen der Ortslage Friedrichshagen bis etwa Höhe Kalksee-Straße nur wenige Steganlagen, die meist auch eine offizielle Funktion hatten und nicht privat genutzt wurden. So wurde im konkreten Fall das Grundstück von einem privaten Investor gekauft, der dort eine „gehobene“ Wohnanlage errichten ließ. Im Verkaufsprospekt wurde diese mit „eigenem Jachthafen und Badestrand“ beworben. Folgerichtig wurde alsbald der Antrag zur Errichtung einer neuen Steganlage für 30 Motorboote gestellt. Das Gewässerufer des Grundstücks liegt allerdings noch innerhalb des FFH-Gebiets. Dies müsste dem Investor bekannt gewesen sein.

Der Antrag wurde vom Bezirk zuerst abgelehnt, auch die Naturschutzverbände waren gegen das Vorhaben, weil der Steg dann innerhalb des FFH-Gebiets liegen würde. Zudem müssten die dort ankernden Boote, um zu der für motorisierte Wasserfahrzeuge frei gegebenen Fahrrinne im Müggelsee zu gelangen, jedes Mal den für Motorboote gesperrten Seebereich queren. Dazu gab es zu diesem Zeitpunkt bereits weitere Anträge auf neue Bootsstege, so z.B. am noch naturnahen Südufer des Sees.

Der Investor klagte dann gegen das Bezirksamt auf Genehmigung ihres Antrags. In der Folge wurde zwischen den Beteiligten ein Mediationsverfahren, ein sogenanntes Güterichterverfahren gemäß § 278 Abs. 5 ZPO am Verwaltungsgericht Berlin durchgeführt.

Dazu sollte zur Prüfung der Genehmigungsfähigkeit einer Bootssteganlage hinsichtlich der Vorgaben durch die EG-Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Richtlinie und der EG-Wasserrahmenrichtlinie (EG-WRRL) ein Fachgutachten erstellt werden.

Für die Durchführung des Gutachtens wurde das benachbarte Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) beauftragt. Die Kosten dafür übernahm der Investor.

Die Gutachter gingen mit wissenschaftlicher Gründlichkeit an die Arbeit. Es wurden vor allem aquatische wirbellose FFH-Arten und das Makrozoobenthos (Insekten, Muscheln und Schnecken) untersucht und zahlreiche wissenschaftliche Literatur zusammengetragen. Im Ergebnis kam die umfangreich gestaltete Studie zu dem Schluss, dass der Bau und die Nutzung der Steganlage die Schutzziele der EG-FFH-RL und der EG-WRRL tatsächlich erheblich beeinträchtigen würden, insbesondere

  • durch die Verschattung und Störung der Uferzone durch den Steg und die dort liegenden Boote,
  • durch die Lärm-, Schadstoff- und Wellenemissionen der dorthin oder von dort fahrenden Boote,
  • sowie durch die zusätzlichen Motorbootsfahrten auf dem Müggelsee.

Dies deckte sich weitgehend mit der Argumentation, mit der die Naturschutzverbände ihre Ablehnung begründet hatten.

Allerdings waren die Gutachter der Meinung, dass sich diese Beeinträchtigungen bei Begrenzung der Stegnutzung auf 12 Motorboote durch geeignete Maßnahmen kompensieren ließen. Vorgeschlagen wurde deshalb die Schaffung einer Land-Wasser-Übergangszone mit Schilfgürtel als Lebensraums für FFH-Vogelarten. Im Einzelnen sollte deshalb

  • die vorhandene Ufermauer auf 50 m Länge zurückgebaut werden,
  • die vorhandene Uferkante um ca. 5 m zurückgenommen werden, so das ein flacher Land-Wasser-Übergang entstehen kann,
  • ein 5 – 10 m breiter Schilfgürtel angepflanzt werden, der durch doppelreihige Holzpalisaden vor Wellenschlag geschützt wird.

Dazu wurden weitere Vorschläge gemacht, wie z.B. schwimmende Inseln, eine Eisvogelbrutwand etc. und es wurde außerdem ein kompliziertes Regelwerk aufgestellt, in dessen Konsequenz die Genehmigung zur Errichtung der Steganlage nur Bestand hätte, wenn der Schilfgürtel dauerhaft erhalten bleibt und seine Lebensraumfunktion erfüllen würde.

Unter diesen Voraussetzungen waren die Gutachter der Meinung, dass aufgrund der Kompensationsmaßnahmen der Eingriff ausgeglichen werden könnte und dass im Ergebnis so keine erheblichen Beeinträchtigungen im Sinne von § 34 BNatSchG für das FFH-Gebiet entstehen würden.

So wissenschaftlich exakt das Gutachten auch sonst war, diese Begründung wurde weder qualitativ noch quantitativ nachvollziehbar dargestellt. Wie die Gutachter zu dieser Einschätzung kamen, blieb letztlich ihr Geheimnis.

Auch ein Blick in die zu diesem Zeitpunkt schon vorhandene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum FFH-Recht hätte sie eines Besseren belehren müssen, dass dies eben keine Begründung ist, einen nachteiligen Eingriff in ein FFH-Gebiet zu genehmigen. Jedenfalls nicht ohne eine nur unter strengen Voraussetzungen mögliche Abweichungsentscheidung.

Auch im Mediationsverfahren wurde dieser Widerspruch nicht bemerkt. So wurde dort schließlich auf der abschließenden Verhandlung im Februar 2015 eine umfangreiche Vereinbarung getroffen, nach der sich das Bezirksamt verpflichtete, die inzwischen abgespeckte Steganlage im FFH-Gebiet zu genehmigen, wenn der Investor die dargestellten Renaturierungsmaßnahmen durchführt.

Diesem Kompromiss stimmten auch die Oberste Naturschutzbehörde und die Wasserbehörde der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz zu, offensichtlich auch ohne genaue Kenntnis der FFH-Rechtslage und obwohl das Gutachten eindeutig die Beeinträchtigungen beschrieb.

Da daraufhin im August 2015 durch das Bezirksamt Treptow-Köpenick die Genehmigung erteilt wurde, bleib den Naturschutzverbänden nichts anderes übrig als gegen diese Genehmigung wiederum zu klagen.

Das nun vorliegende Urteil vom 22. März 2018 gibt im vollem Umfang der Klage der Berliner Landesarbeitsgemeinschaft Recht. Die Genehmigung für die Steganlage sei rechtswidrig. Im Kern kommt das Verwaltungsgericht unter Verweis auf die Verträglichkeitsstudie vom 18. Dezember 2014 zu dem Ergebnis, dass das Vorhaben zu erheblichen Beeinträchtigungen der Erhaltungsziele des FFH-Gebiets „Müggelspree-Müggelsee“ führen könne. Dabei zitiert es die Zusammenfassung der Verträglichkeitsstudie. In dieser hatte das Gutachterbüro die Möglichkeit erheblicher Beeinträchtigungen ausdrücklich bejaht.

Das Verwaltungsgericht führt weiter aus, dass Kompensationsmaßnahmen FFH-rechtlich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs nicht zu berücksichtigen seien bei der Frage, ob es zu erheblichen Beeinträchtigungen kommen könne. So hatte der Europäische Gerichtshof in seiner grundlegenden Entscheidung vom 15.05.2014, C-521/12, ohne Wenn und Aber klargestellt, dass Kompensationsmaßnahmen, die nachteilige Auswirkungen auf die Erhaltungsziele weder verhindern noch verringern, sondern sie später kompensieren bzw. ausgleichen sollen, nicht dazu geeignet sind, die erheblichen Beeinträchtigungen des Gebiets auszuschließen.

Im Anschluss erläutert das Verwaltungsgericht, dass die in der Verträglichkeitsstudie vorgesehenen Maßnahmen tatsächlich der Kompensation dienten und nicht der Vermeidung oder Minimierung des Eingriffs. Die Maßnahmen wirkten zeitlich nachgelagert bzw. an anderer Stelle. Sie änderten am beabsichtigten Eingriff selbst, d.h. an der Errichtung des Stegs, nichts.

Schließlich stellt das Verwaltungsgericht fest, dass die Beeinträchtigungen auch erheblich seien. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei grundsätzlich jede Beeinträchtigung der Erhaltungsziele eines FFH-Gebiets erheblich.

Nach alledem kommt das Gericht zum für den Beklagten und die Vorhabenträgerin niederschmetternden Ergebnis, dass das Vorhaben in Ermangelung einer so genannten Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 BNatSchG unzulässig sei. Nach § 34 Abs. 3 BNatSchG kann die zuständige Behörde das Projekt bei zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses trotz der Möglichkeit erheblicher Beeinträchtigungen unter bestimmten Voraussetzungen zulassen.

Damit jedoch nicht genug. Das Verwaltungsgericht macht der Vorhabenträgerin auch für eine künftige Zulassung über eine Abweichungsentscheidung einen Strich durch die Rechnung. Eine solche Abweichungsentscheidung könne gar nicht rechtmäßig getroffen werden. Ein öffentliches Interesse fehle. Denn ein privater Investor wolle die Steganlage zur Nutzung durch die Eigentümer der Wohnanlage errichten.

Damit ist die Zulassung des Vorhabens auch künftig ausgeschlossen. Abzuwarten bleibt lediglich, wie das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg über den Berufungszulassungsantrag der Vorhabenträgerin entscheidet. Aufgrund der umfassenden Begründung des Verwaltungsgerichts, der konsequenten Anwendung höchstrichterlicher Rechtsprechung des FFH-Rechts, hat die Vorhabenträgerin dabei jedoch hohe Hürden zu überwinden.

Am 28. Juni 2018 erfuhren die Naturschutzverbände dann, dass der Investor das Ergebnis seines Berufungsantrags wohl nicht abwarten wollte, denn er hat den Bootssteg in der Zwischenzeit errichten lassen. Dies ist ein klarer Rechtsbruch, denn solange das Urteil nicht rechtskräftig ist, hat die Verbändeklage eine aufschiebende Wirkung.

Hierbei spielt das Bezirksamt Treptow-Köpenick eine dubiose Rolle. Äußerungen des Bezirksamtes legen den Schluss nahe, dass es Kenntnis hatte von den Plänen des Investors, gleichwohl nichts dagegen unternommen hat, um den Rechtsbruch zu verhindern. Fast schien es, dass den Naturschutzverbänden wohl nichts anderes übrig blieb, den Rückbau der illegalen Steganlage wiederum vor Gericht einzuklagen zu müssen. Inzwischen hat jedoch der für den Fall in Treptow-Köpenick zuständige Stadtrat für Umwelt und Gesundheit Geschanowski mit Schreiben vom 5. Juli 2018 dem die Verbände vertretenden Rechtsanwalt mitgeteilt, dass er beabsichtige zeitnah eine Rückbauverfügung zu erlassen. Ob ein Bußgeldtatbestand in diesem Zusammenhang vorliegt, solle ebenfalls geprüft werden.

Die Naturschutzverbände sind gespannt, wie dieser Umweltkrimi sich weiterentwickelt.

Für Rückfragen stehen Ihnen gern zur Verfügung:

Manfred Schubert, Geschäftsführer der BLN
Manfred Krauß, Wasserexperte (BUND)